Von der amerikanischen Dichterin Emily Dickinson (1830-1886) stammt das Gedicht „This World ist not Conclusion“. Es fasziniert mich, weil die Dichterin darin unerschütterlich die Überzeugung vertritt, dass es mehr geben muss als nur diese Welt: etwas Absolutes, das auch über das hinausgeht, was die Philossophie zu begreifen sucht, eine „invisible, as Music -/But positive, as Sound – möglicherweise ein Leben nach dem Tod. Letztlich ein Rätsel.
Diese Haltung, von Dickinson ahnend und zweifelnd zugleich vorgetragen, war mir hilfreich, um mit weitem Blick neugierig alte Stationenwege selbst erfahren zu können. Sie eröffnete mir sinnenhaft Bezüge zu einer Form der Frömmigkeit, die sich vielen Betrachtern nicht mehr oder bestenfalls auf den zweiten Blick erschließt. Mein Fotobuch „This World is not Conclusion“. A Personal Pilgrimage ist der Versuch, Atmosphäre und Tiefendimensionen eines Stationenweg nachzuspüren. Es zeichnet fotografisch meinen Gang auf dem Kreuz- und Stationenweg zum Zeiler Käppele auf, den ich von 6 Uhr 40 bis 8 Uhr 22 am 24.Mai 2009 unternommen habe.
Anfangs faszinierte mich vor allem die enge Verbindung von Kultur und Natur, die dieses Stationenweg durch den Wald auszeichnet. Erst nach meiner „persönlichen Wallfahrt“ habe ich das Gedicht von Emily Dickinson wieder entdeckt. Es schien mir geeignet, um die über die traditionellen Sehgewohnheiten hinaus einen Kreuzweg erfahrbar zu machen. Während die Leidensgeschichte Christi als objektive Bezugsgröße die Aussage eines Kreuzweg vereindeutigt, erlebte ich gleichsam mit Dickinson im Handgepäck einen persönlichen, subjektiven Bezug jenseits der Tradition.
Der Kreuzweg wird zum Rätsel, das dazu ermutigt, genau hinzusehen, die Stationen des Kreuzwegs unvoreingenommen zu erfahren. Zum einen die bildhauerische Umsetzung, teilweise schlicht und naiv, dann wieder elaboriert und mit einem eigenen Ausdruck. Zum anderen auch die Einbettung eines solchen Kreuzwegs in die Natur, die aus heutiger Sicht nicht mehr nur Staffage ist. Schließlich das Erleben von Verwitterungsprozessen, denen die Stationen aus Stein ausgesetzt sind: die Natur nimmt wieder Besitz von den Denkmälern, den kulturellen Zeitzeugen. Und darüber hinaus der Verweis auf das, was die unmittelbare Wahrnehmung überschreiten und steigern kann: die Wiederentdeckung der Transzendenz als Möglichkeit tieferer Welterkenntnis.
Seitdem setze ich mich mit dem Thema Kreuz- und Stationenwege auseinander. Bin immer wieder auf diesen Frömmigkeitswegen unterwegs. Aufmerksam. Achtsam. Neugierig. Mit einem Gespür für das Numinose. Auf dem Foto ein Ausschnitt des Kreuzwegs in Hammelburg, Fotos von Zeil demnächst.
Mehr zu Emily Dickinson unter http://www.planetlyrik.de/emily-dickinson-biene-und-klee/2010/03/