Hortensien im Garten, verwelkt und verblichen … dürre Blütenstände, Zweigchen und Blätter rascheln im Wind … Filigrane Strukturen, Kugelform, beigefarbene Dolden … Noch ist die Mittagssonne kalt, der Lichteinfall läßt jedoch schon den nahen Frühling erahnen … Haseln blühen, Meisen in den Zweigen, erste Knospen da und dort …
Mein Blick verliert sich im Hortensienlaub. Ich versuche mich zu erinnern, welche Farbe sie im Sommer hatten. Rosa, weiß oder blau? Rilkes Gedicht „Blaue Hortensie“ fällt mir ein: „Verwaschenes wie an einer Kinderschürze,/ Nichtmehrgetragnes, dem nichts mehr geschieht:/ wie fühlt man eines kleinen Lebens Kürze.“ Doch nur, wenn man das welke Laub mit der Vergänglichkeit in Verbindung bringt.
Ich erkenne in den welken Hortensien eher eine widerständige, stolze Kraft, ja fast schon gesammeltes Aufbegehren. Als wüssten sie, dass sie die Gartenpflanzen par excellence sind. Zumindest wenn man ihren Namen wortwörtlich nimmt: Hortensie kommt von lateinisch „hortensius“, zum Garten gehörend.
Fast könnte man zuspitzen: ein Garten ohne Hortensien ist gar kein Garten. Aber das würde nun doch etwas zu weit gehen.
Ein Baum, der anders ist als die anderen. Ein besonderer Baum. Er fällt auf inmitten all der anderen Bäume, die einfach in den Himmel wachsen. Dieser Baum ist außergewöhnlich. Eine Rindenkrone ziert ihn. Der König der Bäume. Baumexperten sprechen von Baumkrebs. Eine Pilzkrankheit. Infektion durch Risse und Wunden in der Rinde. Die Besonderheit wird zum Makel. Aus dem Blickwinkel der Nützlichkeit wird angepasstes Verhalten erwartet. Bäume sollen gerade in den Himmel wachsen. Sich nicht auszeichnen durch Besonderheit, Andersartigkeit. Auf dem Foto stehen alle anderen Bäume um diesen Baum herum, um den eigenrtigen Baum im Mittelpunkt. Der auserwählte Baum. Erwählt, ausersehen, eine andere Rolle einzunehmen. Auserwählt und zugleich abgesondert. Die jüdisch-christliche Tradition klingt leise an.